Brexit – Vorteile, Nachteile und Chancen für Deutschland

Brexit (Britain + Exit = Brexit): Welche Vorteile, Nachteile und Chancen für Deutschland könnte der Austritt der Briten haben? In diesem Artikel wollen wir nicht in mehreren tausenden Wörtern auf die gesetzlichen Regelungen der Europäischen Union eingehen und diskutieren, ob und wie der Ausstieg nun von statten geht. Gesetze sind schnell geändert und angepasst. Wir wollen uns anschauen, welche Vorteile, Nachteile und Chancen sich aus der Abstimmung vom 23. Juni 2016 ergeben. Als Trader und auch Investor müssen wir immer auch die Interessen und Geldströme verstehen.

Wer welches Risiko trägt und wie die Verträge beziehungsweise Handelsvereinbarungen nach dem Brexit aussehen, ist schwierig einzuschätzen. Zudem wird sich dieser Prozess noch das ein oder andere Jahr hinziehen. Dennoch haben wir die aktuell wichtigsten Für und Wider einmal für euch zusammengetragen.

 

Brexit – Vorteile für die Briten

  • London wird fiskal- und wirtschaftspolitische selbständiger. Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) gelten für Briten nicht mehr. Die aktuell strengen Regelungen, die zur Haushaltsdisziplin verpflichtet, werden außer Kraft gesetzt und in zukünftigen (Finanz-) Krisen kann die britische Notenbank komplett unabhängige geldpolitische Maßnahmen ergreifen.
  • Einer der Hauptargumente für den Brexit ist das Thema Einwanderung. Die britische Regierung würde gerne die Zahl der Einwanderer aus der EU minimieren. Die Migranten und Einwanderer werden von der Bevölkerung als eine Gefahr gesehen. Der Grund für die Furcht besteht in der Konkurrenz um Arbeits- und Schulplätze. Des Weiteren ist das Gesundheitssystem überlastet.
    ABER: Sollte die Regierung in London anfangen zwischen Briten und EU-Bürgern zu unterscheiden, könnte es sehr unangenehm werden. Mit dem Zurückweisen von Bürgern aus EU-Ländern könnten/würden alle Briten das Recht auf die freie Wahl ihres Wohnsitzes auf dem europäischen Kontinent verlieren.
  • Ein weiteres Hauptargument für die Briten war, dass die „Regulierungswut“ der EU die britische Wirtschaft lähmt. Laut den Daten der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) gehört Großbritannien aber schon jetzt zu einer der am wenigsten regulierten Wirtschaftsregionen der Welt.
  • Durch den Austritt sparen die Briten jährlich etwa 25 Milliarden Euro.
  • Einige wenige Stimmen behaupten auch, dass der Brexit eine zusätzliche Chance für den Finanzsektor in Großbritannien sein kann. Durch das Wegfallen der lästigen EU-Regulierung könne London noch offensiver um Investoren werben.
  • Bleibt das britische Pfund so niedrig, könnte der Währungsvorteil zu mehr Tourismus und mehr Export führen. Das wird aber auch stark von Importzöllen der Handelspartner abhängen.

 

Brexit – Nachteile für die Briten

  • Schottland, Nordirland und London (Hauptstadt von England) haben gegen den Brexit gestimmt. Der Grund hierfür ist vor allem der, dass Schottland, Nordirland und Wales von den Unterstützungen der Europäischen Union mehr profitierten als England. Als Beispiel kann man hier den Strukturförderfonds der EU nennen. Dieser sollte 2014 bis 2020 fast zwei Milliarden Euro an Wales, 500 Millionen Euro an Nordirland und mehr als 900 Millionen an Schottland zahlen.
    So haben die Schotten schon vor der Abstimmung ein Referendum über die schottische Unabhängigkeit, im Falle eines Brexit, angekündigt. Länder wie Schottland, Nordirland und Wales könnten jetzt nach und nach ihre Unabhängigkeit fordern, sodass England mit der Entscheidung für den Breixt ganz alleine dasteht.
  • Auch eine Unabhängigkeit bzw. Abspaltung der Hauptstadt (London) wird von vielen diskutiert. London gilt als die Finanzmetropole in Europa. Der Finanzsektor macht derzeit acht bis zwölf Prozent der Wirtschaftsleistung in Großbritannien aus. Damit hat Großbritannien den größten Anteil an der Finanzdienstleistung in der ganzen EU. Bis zu dem Referendum haben sich viele Banken und Finanzdienstleister in London niedergelassen, um sich durch das „Passport Right“ einen Zugang zur gesamten EU zu verschaffen. Durch einen Austritt aus der EU könnte dieser Sektor fast komplett wegbrechen. Es ist damit zu rechnen, dass viele Unternehmen ihre Filialen auf die anderen EU-Länder aufteilen. US-Großbanken wie Goldman Sachs oder JP Morgan haben schon früh davor gewarnt. Einer Studie der Beratungsfirma Capital Economics nach könnte der Verlust jährlich rund 10 Milliarden Pfund betragen. Begründet wird dieser Verlust laut Capital Economics dadurch, dass alleine durch das „Passport Right“ der Export von britischen Finanzdienstleistungen um bis zu 50 Prozent einbrechen könnte. Zur Vermeidung des Abwanderns zahlreicher Finanzdienstleister könnte London die Unabhängigkeit fordern. (Auch wenn diese Szenario eher unrealistisch scheint, soll es der Vollständigkeit halber erwähnt werden.)
  • Eine weitere Schwierigkeit könnte das Rekrutieren von Personal aus dem Europäischen Ausland sein, wenn es zu einem Wegfall der Freizügigkeit für EU-Arbeitnehmer kommt. Sowohl für Banken, Hedgefonds, Versicherungen als auch für viele andere Branchen könnte das ein zusätzlicher Wettbewerbsnachteil sein.
  • Viele Unternehmen und Politiker in Großbritannien fürchten aber nicht nur die finanzielle Einbußen, sondern auch einen Machtverlust auf internationaler Ebene. Vor allem Wales, Nordirland und Schottland könnte das in ihren Politikfeldern und Kompetenzgebieten, wie beispielsweise der Landwirtschaft und Umwelt, hart treffen.
  • Ein großer Vorteil der EU-Mitgliedschaft ist, allen voran der freie Zugang zum EU-Binnenmarkt. Diesen müssten die Briten spätestens zwei Jahre nach dem EU-Austritt verlassen. In Gesprächen mit der EU wäre es natürlich möglich diesen Zugang zu behalten. Experten meinen aber, dass die EU-Kommission es den Briten sehr schwer machen wird. Hier gilt es von Seiten der EU ein Ausrufezeichen zu setzen, um andere Länder abzuschrecken.

Brexit – Vorteile und Chancen für Deutschland

  • Der Brexit kann für Deutschland eine wirklich große Chance darstellen. Viele Finanzdienstleister, die London verlassen, brauchen eine neue Niederlassung, um in Europa wie gewohnt agieren zu können. Deutschland gilt schon jetzt als wirtschaftlich stark und als eines der krisenfestesten Länder Europas. Zum anderen haben wir mit Frankfurt (Zuhause der EZB) das Herz der Europäischen Finanzindustrie im eigenen Land. Eine clevere Regierung könnte schon jetzt dafür sorgen, dass sich viele Unternehmen am Main oder im aufstrebenden Berlin an der Spree niederlassen.
  • Die geschwächte Position der Briten könnte dazu führen, dass die USA nach einem neuen Partner in Europa sucht. Bisher sind die Briten der wichtigste Verbündete der USA. Obama selbst warnte Großbritannien und sagte, dass die Briten als EU-Mitglied mehr beitragen könnte. Als zukünftiger Premium-Partner könnte Berlin seine Stellung in Europa und auch außerhalb Europas stärken.

 

Brexit – Nachteile für Deutschland

  • Durch den Austritt werden sich die Gewichte innerhalb der EU verschieben. Das könnte vor allem für Deutschland unangenehm werden. Bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen waren die marktliberalen Briten oft ein Verbündeter Deutschlands. So könnten sich die Franzosen mit ihren ganzen Regulierungen den Weg zu einer Transferunion mit Finanzausgleich und Eurobonds bahnen.
  • Der drittgrößte Handelspartner Deutschlands ist nach den USA und Frankreich, Großbritannien. Rund 2.500 deutsche Unternehmen haben auf der Insel eine Niederlassung und beschäftigen dort ca. 370.000 Menschen. Das sind etwas mehr als ein Prozent aller Beschäftigten in Großbritannien. Auch 3.000 Unternehmen aus Großbritannien sind in Deutschland aktiv und beschäftigen viele tausende Menschen hier im Lande.
  • Der Chef des Ifo-Instituts, Clemens Fuest warnte sogar mit den Aussagen: „Deutschland wäre wahrscheinlich der größte Verlierer eines Brexit, abgesehen von Großbritannien selbst“ und „Ein Austritt trifft die gesamte deutsche Industrie.“
  • Sollte es zu dem Szenario kommen, dass viele Unternehmen aus London nach Deutschland abwandern, steigen die Immobilienpreise in den Metropolen noch drastischer. Gleiches gilt für die Mieten. Der bezahlbare Wohnraum würde sich weiter verringern. Das könnte ein weiteres Auseinanderdriften der gesellschaftlichen Schichten in Deutschland nach sich ziehen.

 

Brexit – Vorteile für Europa

  • Dadurch, dass die Briten immer eine Sonderrolle für sich beanspruchten, sehen einige Experten den Austritt als eine Chance für Europa. Es könnte ein homogeneres Europa entstehen, das enger zusammenrück und noch mehr für einander da ist.
  • Der Brexit könnte also der Anstoß werden, um festgefahrene Strukturen in Europa zu lockern und eine Restrukturierung der Staatengemeinschaft vorzunehmen. Dadurch könnten unter anderem die Verschlankung der Bürokratie und eine einheitlichere Fiskalpolitik, sowie Steuerpolitik ermöglicht werden. Der Zugewinn an Steuereinnahmen würde den Einzelstaaten sowie der Gemeinschaft neue Möglichkeiten bei Investitionen für die Zukunft bieten.
  • Auch die Entscheidungsfindung innerhalb der EU könnte schneller von statten gehen, da es oft die Briten waren, die einen Fuß auf der Bremse hatten und Prozesse ausgebremst haben.

 

Brexit – Nachteile für Europa

  • Die größte Gefahr für die EU ist, dass andere Länder es den Briten nachmachen könnten. Das würde dazu führen, dass der Traum der vereinigten Staaten von Europa gescheitert wäre. Vor allem der Frexit (Frankreich), angeführt von Marine Le Pen (Vorsitzende der rechtsextremen Front National) und der Nexit, der Austritt der Niederlande, sind aktuell heiß diskutiert.
  • Eine weitere große Gefahr besteht in der eventuellen Verringerung der Liquidität an den Finanzmärkten. Das könnte weitreichende Folgen haben.
  • Vor allem kulturell, wirtschaftlich und militärisch gehört Großbritannien zu dem einflussreichsten Nationen der Welt. Der Austritt führt somit zu einem kleineren und schwächeren Europa. Gegenüber den USA, China und den aufstrebenden Mächten wie Brasilien und Indien hat die EU in Zukunft ein noch geringeres Mitspracherecht, wenn es um außenpolitische Entscheidungen geht.
  • Ein ganz großer Verlier des Brexit muss hier noch erwähnt werden: Irland verfügt über sehr enge wirtschaftliche Beziehungen zu ihrem Nachbarn. Laut Schätzungen könnte der Brexit den Handel um 20 Prozent oder mehr einbrechen lassen. Zudem könnten die Importe für Irland deutlich teurer werden. Auch Grenzkontrollen und das erneute Aufflammen der Unruhen zwischen Nordirland und Irland sind denkbar.
  • Die Einlage Großbritanniens fehlt dem Haushalt der EU. Es muss zeitnah geklärt werden, wie diese Finanzierungslücke geschlossen werden kann. Der wirkliche Finanzierungsrahmen der EU muss bestimmt werden, um so Engpässe zu vermeiden.
  • Es ist denkbar, dass Regierungen beim Blick auf die Welt wieder einen egoistischeren Blickwinkel einnehmen. Der Sinn für die Gemeinschaft wird (kurzfristig) vergessen, um so die Anti-EU-Stimmung für eigene politische Interessen zu nutzen. Diese Entscheidungen können sehr weitreichende Folgen haben und so das Leben der zukünftigen Generation verändern. Wenn der Ursprungsgedanke der EU nicht mehr im Vordergrund steht, kann der europäische Kontinent langfristigen Schaden nehmen und an Stabilität verlieren. Die Geschichte hat zahlreiche Beispiele dafür parat.

Das Konstrukt EU wird immer wieder in Frage gestellt. Zudem treten die Briten zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt aus. Euro-, Griechenland-, Flüchtlingskrise und jetzt auch noch der Brexit. Sowohl die Unterschiede zwischen Nord- und Süd- als auch die zwischen West- und Osteuropa sind oft nur schwer zu überwinden. Da stellt sich echt die Frage, ob der Brexit zu diesem Zeitpunkt eine clevere Idee war und ob das System die nächsten 30 Jahre übersteht.

 

Könntet ihr euch einen Dexit (Deutschland + Exit) vorstellen? Wie würdet ihr/würde Deutschland wohl abstimmen?

Wie seid ihr im Bezug auf das Pfund und FTSE 1000 positioniert?

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